Sand frisst Wald: Der unsichtbare Raubbau durch Sand- und Kiesextraktivismus in Deutschland und weltweit
Alleine gegen Ende dieses Jahres wurden die Protestcamps und Waldbesetzungen an zwei Standorten, dem Langener Bannwald âBannyâ und dem SĂŒndenwald âSĂŒndiâ, fĂŒr den Abbau von Sand und Kies gerĂ€umt. Daher ist es dringend an der Zeit ĂŒber diese Form des intensiven aber meist noch kaum beachteten Ressourcenabbaus, sogenannten Extraktivismus, zu sprechen. Denn der Abbau von Sand und Kies ist lĂ€ngst ein MilliardengeschĂ€ft â mit gravierenden Folgen fĂŒr Natur, Klima und Gesellschaft. Ein Artikel von Sebastian Garbe.
Sand ist allgegenwĂ€rtig und lĂ€ngst nicht nur am Strand. Er steckt im Beton von HĂ€usern, im Asphalt von StraĂen und Autobahnen; somit ist er elementarer Bestandteil unserer Infrastruktur, die auf fossiler MobilitĂ€t beruht. Trotz dieser materiellen Verbindung spielte der Sand- und Kiesabbau in den deutschen Debatten ĂŒber Umweltkonflikte bislang kaum eine Rolle. Dabei nimmt der Extraktivismus kontinuierlich zu, aber Sand wird nach wie vor oft als âuniverseller, leicht verfĂŒgbarer, billiger und konfliktfreier Baustoffâ wahrgenommen (John, 2021). Dadurch zieht der kostbare Rohstoff zunehmend Kapitalinteressen, insbesondere der Bau- und Zementindustrie auf sich, um die vermeintlich âunproduktiven Gebieteâ in, im wörtlichen Sinne, Geldgruben zu verwandeln. Dagegen wĂ€chst nicht nur im Globalen SĂŒden, sondern zunehmend auch im Globalen Norden der Widerstand â von den zone Ă dĂ©fendre in Frankreich ĂŒber die Waldbesetzungen im Banny und SĂŒndi bis hin zu der Kampagne von End Cement in Heidelberg. Im Folgenden möchten wir daher einen kurzen Ăberblick zu lokalem und globalem Sand- und Kiesextraktivismus geben.
Ăber Waldbesetzungen
In Deutschland haben Waldbesetzungen als solidarische Praktik zwischen Menschen, WĂ€ldern und ihren nicht-menschlichen Bewohnern eine lange Tradition. Dabei ist der Widerstand gegen die geplante Rodung von etwa 300 Hektar Schutzwald sĂŒdlich von Frankfurt, um Platz fĂŒr den Ausbau des Frankfurter Flughafens zu schaffen, insbesondere der Startbahn West, das bekannteste Beispiel. Der Widerstand in Form einer Waldbesetzung formierte sich schlieĂlich in den 1980er Jahren als sogenanntes HĂŒttendorf gegen die Startbahn West im Flörsheimer Wald und wurde zu einer der bekanntesten und gröĂten Waldbesetzungen Deutschlands.
Berichte des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP 2019) und des Geoinformationsdienstes der Bundeswehr (KrĂ€utner et al. 2022) weisen beispielsweise auf ein wachsendes Bewusstsein fĂŒr die geopolitische Bedeutung von Sand hin. Diese Berichte liefern einige aufschlussreiche erste Fakten ĂŒber Sand (und Kies): Weltweit werden jĂ€hrlich rund 70 Milliarden US-Dollar fĂŒr Sand ausgegeben; er wird auf allen Kontinenten abgebaut, insbesondere in Flussbetten; und es gibt erhebliche QualitĂ€tsunterschiede. Beispielsweise ist Sand mit einem hohen Quarzanteil, wie im SĂŒden des Rhein-Main Gebietes, viel seltener und daher rentabler. Sand ist das weltweit am hĂ€ufigsten abgebaute Bergbauprodukt und erzielt nach fossilen Brennstoffen den zweithöchsten Gewinn (Schaupp, 2024: 293â95). Statistiken ĂŒber das Wachstum der weltweiten Rohstoffgewinnung von 1970 bis heute unterstreichen zusĂ€tzlich den ĂŒberproportionalen Anstieg bei nichtmetallischen Mineralien wie Sand, Kies und Kalk, die mittlerweile etwa die HĂ€lfte der gesamten Gewinnung ausmachen (Material Flows 2025).
Der Rohstoff wird vor allem zur Herstellung von Beton, dem Grundbaustoff unserer Zeit, benötigt. Allein die betonproduzierende Industrie ist fĂŒr ca. 8 % des weltweiten CO2-AusstoĂes verantwortlich.
WĂ€hrend weltweit vor einer drohenden Sandknappheit gewarnt wird, StrĂ€nde verschwinden und Flusslandschaften zerstört werden, wĂ€chst in Deutschland nahezu unbemerkt eine Industrie mit, laut der Bundesanstalt fĂŒr Geowissenschaften und Rohstoffe (Elsner 2022), mittlerweile mehr als 2.200 Sand- und Kiesabbaugebiete, vor allem entlang von FlĂŒssen und in deren Umgebung.
Durch den Extraktivismus werden ganze Landschaften umgegraben â und selbst vor BannwĂ€ldern, immerhin die höchste Kategorie zu schĂŒtzender WĂ€lder, wird kein Halt gemacht.
Diese Entwicklung fĂŒhrt auch hierzulande bereits zu zahlreichen Umweltkonflikten und Protesten. Aktuelle Beispiele zeigen, wie akut die Lage ist:
Im Banny: Ein jahrelanger Konflikt um die mittlerweile genehmigte Erweiterung der Sand- und Kiesgrube der Firma Sehring um ca. 60 Hektar im intakten und biodiversen Bannwald. Die RĂ€umung des Protestcamps und die Rodung wurde Ende 2025 abgeschlossen.
Im SĂŒndi: Ein Waldgebiet nahe des Hambacher Waldes, in dem die RĂ€umung und Rodung fĂŒr RWE-Zwecke bereits begonnen hat.
Im Altdorfer Wald: Das gröĂte zusammenhĂ€ngende Waldgebiet Oberschwabens, dessen Rodung fĂŒr den Sandabbau in den kommenden Monaten möglich ist.
Gerade im SĂŒden des Rhein-Main-Gebiets, das aufgrund seines quarzhaltigen Sandes in den WĂ€ldern fĂŒr die Sand- und Kieswirtschaft besonders profitabel ist, zeigt sich wie eng Sandextraktivismus und Waldverlust verknĂŒpft sind: so wehren sich in den Gemeinden Langen und Babenhausen Anwohner:innen, Umweltgruppen und Waldbesetzungen wie im Banny gegen die fortschreitende Erweiterung der Sand- und Kiesgrube der Unternehmen Sehring oder Foca Group.
Besonders deutlich wird dies an der Sand- und Kiesgrube der Firma Sehring im Westen Langens, die sich seit 1939 in ein schĂ€tzungsweise ĂŒber drei Quadratkilometer groĂes Abbaugebiet in den Wald gefressen hat und auch weiterhin ausgeweitet werden soll. Dabei ergab eine Studie des BUND, dass der regionale Bedarf an Rohstoffen grundsĂ€tzlich auch ohne die umstrittene und auf Widerstand stoĂende Erweiterung der Grube bei Langen gedeckt werden könne. Diese EinschĂ€tzung habe die Firma sogar wĂ€hrend eines Gerichtsverfahrens bestĂ€tigt. (Göbel, 2020)
Der Fall Langen steht stellvertretend fĂŒr ein Problem, das allgemein in der öffentlichen Debatte bislang weniger Aufmerksamkeit erhĂ€lt: Sand und Kies gehören zu den meistgeförderten Rohstoffen der Welt und Deutschland gehört mit den USA, Australien, und den Niederlanden zu den Hauptproduzenten und -exporteuren (Harvard Atlas of Economic Complexity, 2025).
Es zeigt sich deutlich, dass die deutsche Sand- und Kiesindustrie nicht nur zahlreiche Umweltkonflikte im ganzen Land hervorruft, sondern zugleich lokaler Ausdruck eines âglobalen Extraktivismusâ ist (Chagnon et al., 2022). Die Gewinnung von Sand und Kies folgt denselben Mustern wie andere extraktivistische Branchen weltweit: Sie basiert auf der massiven Entnahme natĂŒrlicher, aber endlicher Ressourcen, die vor allem wirtschaftlichen Interessen dient und dabei ökologische und soziale Kosten auf die lokalen Ăkosysteme und Gemeinschaften abwĂ€lzt. Es handelt sich um ein globales PhĂ€nomen â denn die riesigen Mengen an Sand, die Menschen weltweit abbauen, haben lĂ€ngst eine spĂŒrbare Wirkung auf die Erde: Sie verĂ€ndern Landschaften in einem AusmaĂ, das ĂŒber die geologischen KrĂ€fte weit hinausreicht (Torres et al., 2021; John, 2021): So ist die aktuell geschĂ€tzte Menge an abgebauten Sand und Kies höher als die Menge an Sedimenten, die von allen FlĂŒssen der Welt transportiert wird. Dadurch sind die Menschen zur gröĂten Kraft geologischer VerĂ€nderungen geworden. Dabei sind anhand der Lieferketten die Regionen des Globalen Nordens und SĂŒdens in einer Art und Weise miteinander verknĂŒpft, dass neue AbhĂ€ngigkeits- und AusbeutungsverhĂ€ltnisse entstehen, die Mineralien, FlĂŒsse, WĂ€lder und Menschen gleichermaĂen betreffen. Gleichzeitig zeigt ein Blick auf die Forschungslage, dass die globale Dimension des Sandabbaus hĂ€ufig verkĂŒrzt dargestellt wird. Viele Studien konzentrieren sich vor allem auf illegalen âSandraubâ im Globalen SĂŒden (Bisht, 2022; Manirul et al., 2024 , Lamb et al., 2019) â fraglos ein wichtiges Thema. Doch diese Fokussierung verdeckt, dass Sand- und Kiesextraktivismus auch im Globalen Norden eine zentrale Rolle spielt. Gerade die hohen Exportzahlen und der groĂflĂ€chige legale, aber umkĂ€mpfte und ökologisch zerstörerische Abbau in LĂ€ndern wie Deutschland machen deutlich, dass es einer ebenso kritischen Betrachtung der extraktivistischen Praktiken vor unserer HaustĂŒre bedarf.
WĂ€lder verschwinden, Böden werden zerstört, das Grundwasser sinkt. Trotzdem wird die Sand- und Kiesgewinnung in Deutschland hĂ€ufig mit dem Argument gerechtfertigt, im Inland gewonnener Sand sei ânachhaltigerâ. Und das fĂŒr ein Produkt, das lĂ€ngst nicht mehr nur der heimischen Bauwirtschaft dient. Denn, obwohl die Industrie den Abbau mit einem angeblichen âregionalen Bedarfâ begrĂŒndet, zeigen Untersuchungen von UmweltverbĂ€nden wie dem BUND, dass die Nachfrage lĂ€ngst gedeckt ist â der Abbau ĂŒbersteigt den tatsĂ€chlichen Bedarf deutlich. Die Zahl der Neubauten in Deutschland wĂ€chst langsamer als die Menge des geförderten Sandes, wĂ€hrend das ExportgeschĂ€ft boomt. Der vermeintliche âNachhaltigkeitsvorteilâ des heimischen Sandes entpuppt sich damit als Vorwand fĂŒr ein wachstumsgetriebenes GeschĂ€ft, das WĂ€lder und Landschaften zerstört.
Der ĂŒberproportionale Anstieg bei nichtmetallischen Mineralien wie Sand verdeutlicht einen Trend zu einer rasch steigenden Nachfrage, die sich in den kommenden Jahrzehnten vermutlich verdoppeln wird (Torres et al., 2021: 640).
In einem Wirtschaftssystem, das Natur lediglich als Ressource betrachtet und ihre Ausbeutung mit vermeintlichem Fortschritt rechtfertigt wird dies nicht nur zu mehr gravierenden UmweltschĂ€den fĂŒhren, sondern auch soziale Konflikte verstĂ€rken. Der Global Atlas of Environmental Justice (2025) zĂ€hlt bereits heute ĂŒber 130 Umweltkonflikte rund um den Sand- und Kiesextraktivismus weltweit.
Sand- und Kiesabbau sind zudem zentrale Treiber des Ausbaus fossiler Infrastruktur in Deutschland â und damit eng mit weiteren Umweltkonflikten verbunden. Beispiele reichen von der Start- und Landebahn West des Frankfurter Flughafens ĂŒber den umstrittenen Bau der A49 mit der Besetzung des Dannenröder Waldes bis hin zu den bevorstehenden Auseinandersetzungen um den Ausbau der A5 bei Frankfurt. DarĂŒber hinaus werden Sand und Kies zur VerfĂŒllung anderer Bergbauprojekte genutzt â etwa im SĂŒndenwald, der damit direkt mit der umstrittenen Erweiterung des Hambacher Braunkohletagebaus verknĂŒpft ist. Hinzu kommt, dass ehemalige Abbaugruben nach ihrer Nutzung hĂ€ufig zur teils illegalen Ablagerung von Bauschutt genutzt werden, fĂŒr die die Unternehmen zusĂ€tzlich Geld erhalten. Sand- und Kiesextraktivismus sind also nicht nur untrennbar mit weiteren Elementen der fossilen Infrastruktur verbunden, sondern vielmehr dessen stoffliche Grundlage (Les SoulĂšvements de la terre, 2025).
Zusammenfassend lĂ€sst sich sagen: Die heimische Sand- und Kiesindustrie ist nicht nur in zahlreiche Umweltkonflikte im ganzen Land verwoben, sondern auch Ausdruck eines globalen Extraktivismus. Menschen greifen ĂŒberall auf der Welt in Landschaften ein, verbinden den Globalen Norden und SĂŒden ĂŒber denselben Rohstoff â und schaffen dadurch Beziehungen der Ausbeutung zwischen Mineralien, FlĂŒssen, WĂ€ldern und Menschen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht â aber die wachsenden Proteste und Besetzungen zeigen, dass immer mehr Menschen bereit sind, sich dem unsichtbaren Raubbau entgegenzustellen. Der âmetabolische Rissâ (Marx, 1978), den der Kapitalismus der mehr-als-menschlichen Umwelt zufĂŒgt, bleibt somit nicht unbeantwortet, sondern wird durch widerstĂ€ndige und fĂŒrsorgliche Praktiken in und um Waldbesetzungen zurĂŒckgewiesen. Somit wird in den Protesten die Zerstörung durch Sand- und Kiesgewinnung zumindest zeitweise aufgehalten und die WĂ€lder fĂŒr die kapitalistische und extraktivistische Verwertung unproduktiv gemacht. In diesem Sinne könnte man sagen, dass die Besetzungen dem Wald helfen, gegen Kapitalismus und Extraktivismus in den Streik zu treten.
Ăber den Autor
Dr. Sebastian Garbe arbeitet an der Hochschule Fulda in einem Forschungsprojekt zu Umweltprotesten innerhalb des ĂŒbergeordneten Forschungsimpulses âShaping Future Societiesâ, der durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) â FIP 27 â 528585458 gefördert wird.
Quellen
Bisht, A. (2022): Sand Futures: Post-Growth Alternatives for Mineral Aggregate Consumption and Distribution in the Global South. In: Ecological Economics 191 (January), pp. 107-233.
Chagnon, C. W., Durante, F., Gills, B. K., Hagolani-Albov, S. E., Hokkanen, S., Kangasluoma, S. M. J., Konttinen, H., Kröger, M., LaFleur, W., Ollinaho, O., Vuola, M. P. S. ( 2022): From extractivism to global extractivism: the evolution of an organizing concept. In: The Journal of Peasant Studies, 49(4), pp. 760â792.
Elsner, H. (2022): Gewinnung von Sand und Kies in Deutschland â Stand und Herausforderungen. Vortrag auf der BGR-Rohstofftagung âSand und Kies in Deutschlandâ, Hannover, 1. Dezember 2022. Bundesanstalt fĂŒr Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).
Global Atlas of Environmental Justice (2025) Online: https://ejatlas.org [Date of Access: 05.11.2025].
Göbel, K. (2020): Ăffentliches Interesse Kontra Privatwirtschaftlicher Gewinnerzielungsabsicht. Langen-Egelsbach, September 2020.
Harvard Atlas of Economic Complexity (2025) Online: https://atlas.hks.harvard.edu [Date of Access: 05.11.2025].
John, R. (2021): Sand geographies: Disentangling the material foundations of the built environment. In: Geography Compass, 15(5), pp. 1-13.
KrĂ€utner, T., Albrecht, B., Puhl, D., Dr. HĂŒttl, H. (2022): Sand – ein unterschĂ€tzter Rohstoff? Euskirchen: Geoinformationsdienst der Bundeswehr.
Lamb, V., Marschke, M., & Rigg, J. (2019): Trading Sand, Undermining Lives: Omitted Livelihoods in the Global Trade in Sand. In: Annals of the American Association of Geographers, 109(5), pp. 1511â1528.
Les SoulĂšvements de la terre. (2025): Erste Beben (Deutsche Erstausgabe; C. Schmartz, S. Textor, A. Jandl & F. Traps, Ăbers.). Assoziation A.
Manirul, M., Karikar, B. A., Sk, M., Itahdur, A. M., Khanam, N., and Siddiqui, L. (2024): Envi-ronmental and socio-economic impacts of river sand and gravel mining: A review. [Preprint]. In: Research Square, September 19, pp. 1â39 https://doi.org/10.21203/rs.3.rs-4942545/v1.
Marx, K. (1978): Das Kapital. 1(1) Der Produktionsprozess des Kapitals. 7. Ed. Berlin: Ullstein.
Material Flows (2025) Online: materialflows.net [Date of Access: 05.11.2025].
Schaupp, S. (2024): Stoffwechselpolitik: Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Torres, A., Simoni, M. U., Keiding, J. K. et al. (2021): âSustainability of the Global Sand System in the Anthropocene.â In: One Earth 4 (5), pp. 639â50. https://doi.org/10.1016/j.oneear.2021.04.011.
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