Klimaschutz ist kein Verbrechen: Klima-Aktivist Samuel wurde freigelassen

Regierung von Schwaben muss sich Kritik gefallen lassen, Inhaftierung von Samuel Bosch grundgesetzwidrig, Bosch musste sofort entlassen werden

„Lohwald-Rodung trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!“ Ein Banner mit dieser Aufschrift hatten Aktivist*innen und UnterstĂŒtzer*innen des Augsburger Klimacamps im Oktober 2022 an der Fassade der Regierung von Schwaben angebracht [1-5] – und wurden dafĂŒr vom Augsburger Amts- und Landgericht hart bestraft, die dpa berichtete mehrmals ĂŒber den Vorgang: drei Wochen Haft fĂŒr Samuel Bosch (21), eine Woche Haft fĂŒr Charlie Kiehne (21) und ein halbes Jahresgehalt Geldstrafe fĂŒr Ingo Blechschmidt (35). Das Bundesverfassungsgericht beschloss nun: Die Augsburger Urteile waren rechtswidrig, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit wurde von den Gerichten missachtet. Damit musste die Jugendarrestanstalt Göppingen Bosch, in der er bis heute Abend inhaftiert war, sofort entlassen.

„Eine finanzielle HaftentschĂ€digung kann die zwei Wochen Haftzeit nicht wieder gut machen“, erklĂ€rt Bosch. „Aber der eigentliche Schaden liegt in den Folgen der Erdaufheizung. Es lohnt sich, fĂŒr Klimagerechtigkeit zu kĂ€mpfen, auch wenn dies bedeutet, eingesperrt zu werden.“

Es lohnt sich, fĂŒr Klimagerechtigkeit zu kĂ€mpfen, auch wenn dies bedeutet, eingesperrt zu werden.

„Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den BeschwerdefĂŒhrer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG“ (RdNr. 11), so der unanfechtbare höchstrichterliche Beschluss [25]. Bei Äußerungen wie der Kritik an der Regierung von Schwaben sei zu beachten, wenn diese „nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzung“ getĂ€tigt werden, sondern „zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen“ (RdNr. 14). Explizit erwĂ€hnt das Gericht, dass der „Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen SchutzbedĂŒrfnis der Machtkritik erwachsen [ist]“ (RdNr. 12). „Die [Augsburger] Gerichte gehen mit einer verfassungsrechtlichen MaßstĂ€ben nicht genĂŒgenden BegrĂŒndung vom Vorliegen einer Tatsachenbehauptung aus und verkĂŒrzen damit den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit. [
] Insbesondere erfolgt jeweils keinerlei Einordnung in den Kontext“ (RdNr. 18).

Rechtlich besonders geschĂŒtzter Bannwald

Der Lohwald ist ein nach dem Bayerischen Waldgesetz rechtlich geschĂŒtzter Bannwald bei Biberbach und Langweid. Art. 9 dieses Gesetzes setzt fĂŒr Rodungsvorhaben bei BannwĂ€ldern voraus, dass „zwingende GrĂŒnde des öffentlichen Wohls es erfordern“ [6]. Ein Interesse an der Rodung des Lohwalds hatten die angrenzenden Lech-Stahlwerke, die behaupteten, ihr WerksgelĂ€nde vergrĂ¶ĂŸern zu wollen. Mehr als ein Jahr spĂ€ter liegt die RodungsflĂ€che indes immer noch brach, wie eine Foto-Dokumentation von Fridays for Future Augsburg ergab. Thomas Frey, der Regionalreferent des BUND Naturschutz, sprach in Bezug auf die Rodung damals von einer „perfiden Aktion“ und einer „Watschen fĂŒr die engagierte BĂŒrgerschaft“.

Zum Zeitpunkt der Rodung war der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit einer RechtswidrigkeitsprĂŒfung des Rodungsvorhabens beschĂ€ftigt – und ist es immer noch [9,10]. Die an den Wald angrenzende Gemeinde Biberbach hatte nĂ€mlich, wie auch der BUND Naturschutz, eine Normenkontrollklage eingereicht. Diese Klagen entfalteten allerdings keinen einstweiligen Rechtsschutz, da die Rodung erst fĂŒr den Oktober 2023, nach Abschluss gewisser artenschutzrechtlicher Maßnahmen, vorgesehen war und daher vermeintlich keine EilbedĂŒrftigkeit bestand. Die Aktivist*innen kritisierten, dass die Regierung von Schwaben mit einer Ausnahmegenehmigung der vorgezogenen Rodung des Lohwalds TĂŒr und Tor öffnete, ohne die Gemeinden darĂŒber zu informieren, und sie so der Möglichkeit beraubte, einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen.

Höchstrichterlicher Beschluss mit Strahlkraft

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich zunĂ€chst nur auf das Augsburger Urteil gegen Bosch, den die Arrestanstalt nun sofort aus der Haft entlassen musste. Seine ebenfalls verurteilten Mitstreiter*innen Charlie Kiehne und Ingo Blechschmidt hatten bislang keine Verfassungsbeschwerde eingereicht. FĂŒr Kiehne kommt der Beschluss auch zu spĂ€t: Kiehne saß die Haft bereits ab. Kiehne kann höchstens HaftentschĂ€digung von 75 Euro pro Tag beantragen. Blechschmidt könnte sein als Strafe gezahltes halbes Jahresgehalt zurĂŒckerhalten.

„Ein Beschluss mit Strahlkraft“, findet Blechschmidt. Die höchstrichterliche Entscheidung wertet er nicht nur in Bezug auf ihre Kritik an der Regierung von Schwaben als wichtiges positives Zeichen: Seit letztem Jahr ist Deutschland aufgrund von immer weiter zunehmenden EinschrĂ€nkungen des Versammlungsrechts auf der internationalen Ächtungsliste der Menschenrechtsorganisation Amnesty International gelandet – neben LĂ€ndern wie China und dem Iran [11,12]. In Deutschland wĂŒrden Proteste von staatlichen Behörden mitunter als „Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ wahrgenommen, [
] anstatt sie als Kernelement eines lebendigen gesellschaftlichen Diskurses zu ermöglichen und zu schĂŒtzen, sagte Paula Zimmermann, Expertin fĂŒr Meinungs- und Versammlungsfreiheit bei Amnesty International in Deutschland. „Heute ist ein guter Tag fĂŒr zivilgesellschaftliches Engagement. Mit seinem wegweisenden Beschluss verteidigte das Bundesverfassungsgericht die dafĂŒr so wichtige Versammlungs- und Meinungsfreiheit“, so Ingo Blechschmidt vom Augsburger Klimacamp. Das Bundesverfassungsgericht folgt mit seinem Beschluss auch einer Forderung der UN, Klimaaktivist*innen stĂ€rker zu schĂŒtzen.

Heute ist ein guter Tag fĂŒr zivilgesellschaftliches Engagement

Die Augsburger Staatsanwaltschaft steht ĂŒberregional in der Kritik [14,15,16a], sogar die New York Times berichtete schon ĂŒber ihre Übergriffe [16b,17]. Charlie Kiehne kritisiert, dass dadurch Menschen von ihrem Engagement fĂŒr die Lebensgrundlagen abgebracht werden könnten: „Die Augsburger Justiz sendet ein völlig verdrehtes Signal in unsere Gesellschaft: Es sind vielmehr die Stahl-, Zement- und Autohersteller, die gigantische Verbrechen an der Zukunft unserer Kinder und an den aktuellen Lebensgrundlagen der Menschen im globalen SĂŒden begehen“. Eine Ă€hnliche Haltung vertritt auch UN-GeneralsekretĂ€r AntĂłnio Guterres, der in einer Rede erklĂ€rte: „Klimaaktivisten werden manchmal als ‚gefĂ€hrliche Radikale‘ dargestellt. Aber die wirklich gefĂ€hrlichen Radikalen sind die LĂ€nder, die die Produktion von fossilen Brennstoffen erhöhen“ [18].

WĂ€hrend des Prozesses in Augsburg spielten auch persönliche Meinungen der Richter, wie Aktivismus auszusehen habe, eine Rolle. In der UrteilsbegrĂŒndung des Jugendrichters am Augsburger Landgerichts Ă€ußerte Richter Rauh etwa pauschale Kritik an Fridays for Future: Aktivismus sei bedrohlich fĂŒr die Lebensgrundlagen von acht Milliarden Menschen; man könne nicht alles verbieten. „In der Verhandlung gab es von Seiten des Landgerichts zwar viele Emotionen und persönliche Meinungen, wie Aktivismus auszusehen hĂ€tte, aber leider wenig sachliche ErklĂ€rung“, kommentierte damals Boschs Strafverteidiger Klaus Schulz.

WĂ€hrend Haft Workshop-Woche im besetzten Altdorfer Wald organisiert

Die Zeit in der Haft hat Bosch genutzt, um sein Engagement fĂŒr Klimagerechtigkeit auf andere Weise fortzufĂŒhren. Er richtete eine Art zweigeteiltes BĂŒro ein, per Post unterhielt er ausfĂŒhrlich Korrespondenz mit BĂŒrgerinitiativen, Freund*innen und Aktivist*innen. Auf diese Weise organisierte er aus der Arrestanstalt heraus eine umfangreiche Workshop-Woche in der von ihm mit initiierten Besetzung im Altdorfer Wald bei Ravensburg: Vom 17. bis zum 26. Mai 2024 wird es in den Baumhausdörfern ein vielfĂ€ltiges Programm geben. BĂŒrger*innen können dort lernen, wie sie in Notsituationen BĂ€ume zu ihrem Schutz besetzen können, oder wie man StĂ€dte verklagen kann, wenn sie Demonstrationen verbieten. Daneben werden auch Dokumentarfilme rund um die seit mehr als zwei Jahren bestehende Besetzung gezeigt.

Interessierte können auf www.ravensburg.klimacamp.eu weitere Details nachlesen. Es werden Aktivist*innen aus ganz Europa erwartet, die meisten Workshops werden auf Deutsch und auf Englisch angeboten.


Pressekonferenz am Freitag (5.4.) um 11:00 Uhr auf dem Marienplatz (vor der Touristeninformation/Lederhaus)

Weitere Informationen unter https://ravensburg.klimacamp.eu

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