Ein Jahr danach. Anwohner zieht Bilanz über das Totalversagen der Polizei während der Räumung des Dannis

Ein Jahr ist vergangen, seit dem die letzten Baumhäuser im Dannenröder Wald von einem abstrusen Polizeiaufgebot geräumt und die letzten Bäume entlang der Trasse der geplanten A49 gerodet wurden. Wir nehmen dies zum Anlass um eine Ansprache eines Anwohners mit Euch zu teilen. Die folgende Rede wurde am 26.11.2021 vor der Justizvollzugsanstalt Preungesheim im Rahmen einer Solidaritätsdemonstration für die noch immer inhaftierte Ella gehalten.

Liebe Freunde, die Ihr Euch heute hier versammelt habt,

Ich bin 70 Jahre alt. Ich habe viel von der Welt gesehen, aber ich bin in all dieser Zeit meinem Heimatort Maulbach immer verhaftet geblieben. Fast 69 Jahre lang hätte ich, ohne zu zögern, den Slogan „Die Polizei, dein Freund und Helfer“ unterschrieben. Auf dem Dorf empfand man so. Das hat sich gründlich geändert.

Am 5. Oktober 2020 begannen im Maulbacher Wald die Rodungen für die A49. Wir wurden dessen ansichtig, als in den frühen Morgenstunden nicht enden wollende Konvois von Polizeifahrzeugen durch unseren sonst eher stillen Ort fuhren. Über 2.000 Polizisten kamen an diesem Tag zum Einsatz, um die zu rodenden Waldflächen zu umstellen. Binnen kürzester Zeit fanden sich zahlreiche Menschen aus Maulbach und den benachbarten Orten ein, um gegen die Rodungen zu protestieren und auch die wenigen Aktivisten, die erst einige Tage vorher mit dem Bau von Baumhäusern begonnen hatten, zu unterstützen. Eine eilends eingerichtete, auf einem Privatgrundstück befindliche Mahnwache wurde unter Missachtung des Versammlungsrechts weit abgedrängt. Die Wachhabende wurde brutal zusammengeschlagen. Die zuerst noch teilweise durchlässigen Polizeilinien wurden bald hermetisch geschlossen. Eine größere Gruppe von Bürgis wurde innerhalb des Polizeicordon zusammen getrieben und über viele(!) Stunden festgesetzt. Für viele eine traumatische Erfahrung.

Über 3 Tage zog sich die Belagerung Maulbachs hin, die Straßen voll mit Polizeifahrzeugen, massive Behinderungen im Ort. Seit dem Einmarsch der Amerikaner im März 1945 hat Maulbach niemals etwas Vergleichbares erlebt. Ich vermute, das strategische Ziel der Polizeiführung war, durch machtvolles und kompromissloses Auftreten gleich zu Beginn die Gegner der anstehenden Rodungen so einzuschüchtern, dass sich diese in den kommenden Wochen gar nicht mehr heraus trauten. Aber dieser Schuss ging nach hinten los! Das Ansehen der Polizei fiel ins Bodenlose und hat sich seither nicht wieder erholt. Und der Widerstand wurde eher befeuert.

Noch ein Vorfall aus dem Maulbacher Wald, der nach meinen Erfahrungen zumindest nicht untypisch für die Vorgehensweise der Polizei ist. Am Tag 2 und 3 der Rodungen im Mauli waren nur noch ganz wenige Aktivisten in dem Rodungsbereich, die Bäume besetzt hielten und dadurch die Rodungen aufzuhalten oder wenigstens zu verlangsamen suchten. Einem von denen, einem exzellenten Kletterer, war es gelungen, mehrere Kletter-Cops längere Zeit zu foppen und vorzuführen, was heftig an deren Selbstbewusstsein genagt haben muss. Als er sich angesichts der Übermacht dann schließlich doch geschlagen gab und vom Baum herunter stieg, war die erste Aktion der Cops, die ihn festnahmen, sein professionelles Klettergeschirr im Wert von mehreren 100 Euro zu zerschneiden.

Ich habe sinnlose Zerstörungsorgien seitens der Polizei später noch oft im Danni erlebt. Die BFE-Einheiten, die durch die Barrios zogen, schienen einen Heidenspaß daran zu haben, die gesamte Infrastruktur und Gebrauchsgegenstände, derer sie habhaft werden konnten, einfach zu zertrümmern. Ich habe niemals so viele Fahrräder gesehen, in den Barrios oder entlang von Waldwegen, die mit Brachialgewalt demoliert worden waren – von Polizisten, wohlgemerkt.

Die bis hierhin geschilderten Übergriffe der Polizei erscheinen gleichwohl als Petitessen gegenüber jenen, bei denen es um die Gesundheit oder gar Leib und Leben von Menschen geht. Es gibt eine lange Liste solcher Vorfälle, und viele davon sind durch Videoaufnahmen bestens belegt. Da ist beispielsweise zu sehen …

  • wie eine kirchliche Beobachterin anlasslos von Polizisten zu Boden geworfen und malträtiert wird und dabei starke Prellungen davon trägt
  • wie Demonstranten, die einer Polizeikette im Herri gegenüber stehen, auf übelste Art mit Schlagstöcken und Tritten traktiert werden
  • wie ein akkreditierter Fotoreporter aus einem Baumhaus mit einer Hebebühne zuerst zu Boden gebracht wird, bevor mehrere Polizisten heftig auf ihn eintreten. Eine zerbrochene Brille und viele blaue Flecken, auch im Gesicht, sind die Folge.

… die Reihe ließe sich fast beliebig fortsetzen.

Mir ist dann auch bald klar geworden, dass es einen Unterschied machte, ob eine Öffentlichkeit überhaupt zugegen war, um das Vorgehen der Polizei zu verfolgen, oder ob diese durch weiträumige sogenannte Sicherheitszonen ausgeschlossen war. Und ich habe sehr wohl verstanden, warum die Aktivisten uns Bürgis förmlich anflehten, in den Wald zu kommen, um Öffentlichkeit herzustellen. Sie hatten Angst – begründete Angst – vor dem was auf sie zukommen könnte, wenn keine potentiellen Zeugen zugegen waren.

Einige von ihnen haben ihren Einsatz sehr teuer bezahlt. Zwei Aktivisten wurden durch polizeiliches Handeln fast zu Tode gebracht. Nur dank glücklicher Umstände sind sie nicht gestorben, aber sie haben in beiden Fällen sehr schwere Verletzungen davon getragen. Mehrfach haben Polizisten Drahtseile gekappt, wodurch Plattformen kippten und Menschen aus großer Höhe zu Boden stürzten. Was absolut vorhersagbar war, weil die Drahtseile selbst mit laminierten Schildern versehen waren, die eindringlich auf die Konsequenz hinwiesen. Das wusste auch die Polizei, das wusste insbesondere die Einsatzleitung. Dass es trotzdem passierte, ist eigentlich unbegreiflich. Aber hat diese Beinahe-Tötung von Menschen irgendeine juristische Konsequenz? – Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Körperverletzung … seit über einem Jahr. Und ich, soviel Voreingenommenheit leiste ich mir, glaube heute schon zu wissen, wie das Verfahren ausgehen wird. Aber das muss man sich einmal vor Augen führen: Diesen Polizisten wird fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Menschen aus dem Widerstand wurde mindestens schwere Körperverletzung, wenn nicht gar versuchter Totschlag vorgeworfen, wenn sie Polizisten nur einmal böse angeschaut haben. Der Fall Ella ist ein beredtes Beispiel.

Das führt zu einem umfassenderen Aspekt. Die oberste Heeresleitung der Polizei hat immer für sich in Anspruch genommen, dass sie nach der Devise „Sicherheit vor Schnelligkeit“ vorgeht. Wir, die wir vor Ort waren, können bezeugen, dass das Gegenteil der Fall war. Es war ganz normal, dass Bäume gefällt wurden, auch wenn sich in allernächster Nähe noch Aktivisten auf anderen Bäumen befanden. Die Fällungsarbeiten wurden mit Hilfe künstlicher Beleuchtung bis in die späten Abendstunden fortgesetzt, obwohl unter diesen Belichtungsverhältnissen gar nicht mehr überschaubar war, welche Seiteneffekte das Fällen eines Baumes haben würde. Man denke etwa an die vielen Traversen zwischen Bäumen. Tatsächlich wäre es in einem Fall – und auch der ist durch Videos bestens dokumentiert – fast zum Absturz eines Aktivisten aus ca. 15m Höhe gekommen. Dies nämlich, als durch die Fällung eines Baumes eine Traverse durchtrennt wurde, auf der ein Mensch stand. Nur der überaus glückliche Umstand, dass dieser mehrfach gesichert war, bewahrte ihn vor dem Absturz und sicheren Tod. Wir haben nicht ein einziges Mal erlebt, dass seitens der Polizei die Forstarbeiter gebremst und zu einem vorsichtigeren Vorgehen angehalten wurden.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch einmal sagen, dass es der Sache nicht gerecht würde, wollte man die Polizisten pauschal verdammen. Es gab auch die anderen. Einige wenige ließen erkennen, dass sie nach eigenem Empfinden auf der falschen Seite des Trassierbands standen. Es gab die Polizistin, die einer verletzten Demonstrantin aus der Ü60-Gruppe mitfühlend über Schulter und Rücken strich. Die meisten rechtfertigten ihren Einsatz, mutmaßlich vor allem vor sich selbst, damit, dass sie als Polizisten Befehl und Gehorsam unterlägen und gar nicht anders könnten. Ich lasse dahin gestellt, ob es nicht doch auch andere Möglichkeiten gegeben hätte. Allen muss man zugestehen, dass sie das mehr oder weniger willfährige Werkzeug einer Politik waren, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat.

Ich komme zu einem letzten Punkt, die Pressearbeit der Polizei. Es gibt ein Sprichwort, das sagt: „Die halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge.“ Daran gemessen muss man sagen, die haben gelogen, dass sich die Balken biegen. Ich habe viele Vorgänge im Danni selbst erlebt oder sie sind mir aus erster Hand zugetragen worden, und ich konnte vergleichen, wie diese in Pressemitteilungen der Polizei dargestellt wurden. Der Unterschied hätte größer nicht sein können. Auf Grund der Pressemitteilungen musste man den Eindruck gewinnen, der Wald sei voll von militanten Staatsfeinden und Angriffe auf Leib und Leben der Polizisten gehörten zur Tagesordnung. Mir ist von einem einzigen Vorfall bekannt, wo Feuerwerkskörper gezündet und in Richtung der Polizei, aber nicht auf die Polizei abgeschossen wurden. Ansonsten bestand die „Kampfführung“ der Aktivisten darin, Bäume und verschiedene Strukturen zu besetzen, die zwar mit einigem Aufwand, aber eben ohne Gefährdung für die ausführenden Polizisten geräumt werden mussten. Selbst dem voreingenommensten Polizisten müsste klar gewesen sein, dass Menschen, die in ihrem Baumhaus sitzen und ohne Fluchtmöglichkeit der Räumung entgegen sehen, aller Wahrscheinlichkeit nach keine Gehwegplatten herunterwerfen würden. Wie anders wurde dies in den offiziellen Verlautbarungen der Polizei dargestellt!

Die Polizei, dein Freund und Helfer! Die Polizei als Hüter des Gesetzes und der Wahrheit. Dieser naive Kinderglaube wurde mir im Mauli und Danni ein für allemal ausgetrieben. Ich bin seitdem immer wieder erstaunt zu sehen, dass Pressemitteilungen der Polizei von den meisten Medien als der Wahrheit letzter Schluss vertrieben werden.

Abschließend, aus tiefer Dankbarkeit den Aktivisten gegenüber, und am heutigen Tag insbesondere auch für Ella, noch ein Zitat aus einer Presseerklärung der Ü60-Gruppe:

„Die große Mehrzahl der Menschen, die mit ihrem Leben den Dannenröder Forst schützen wollten, waren friedliche junge Menschen, die gewaltfrei ihre verletzlichen Körper einsetzten, um die Harvester und Rodungsmaschinen, die dort eine breite Schneise in den Wald rissen, aufzuhalten. Sie alle wurden durch das riesige Polizeiaufgebot kriminalisiert statt gehört. Sie kämpften für die Zukunft allen Lebens in der Welt. Wir Alten über 60-jährigen sind tief berührt von diesem Einsatz so vieler junger Leute.“

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Update 30.12.2021:

Der Video-Aktivist Der Pilger hat das Fehlverhalten der Polizei mit seiner Kamera festgehalten und wurde dabei, trotz vorhandenem Presseausweis, selbst Opfer massiver Polizeigewalt. Danke für Deinen unermüdlichen Einsatz, Pilger!

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