#WildStattAsphalt: Die Erfolgsgeschichte einer queerfeministischen Kleingruppenaktion im Vlothoer Wildschweinwäldchen

Die Autobahn GmbH hat sich überlegt, vom 17. – 21.1.22 in Vlotho 2 ha Wald neben der Autobahnauffahrt Vlotho-West zu roden. Da dies unter dem Vorwand der Verkehrssicherung geschehen sollte, musste die örtliche Politik in den Prozess nicht mit einbezogen werden. So wurde die Politik genau wie die Presse gegen Mitte der Woche vor der geplanten Rodung über das Vorhaben informiert. Begründet wurde die Rodungsabsicht damit, dass zuletzt vermehrt Wildschweine in dem besagten Stück gesichtet wurden. Es seien zwar noch keine „Schwarzwild-Unfälle“ an der Stelle vorgekommen, aber es solle ja auch nicht heraufbeschworen werden.

So war am Donnerstagmorgen die erste Information darüber in der Zeitung. Noch am Wochenende vor der Rodung positionierten sich Ortsvorsteher, Bürgermeister und Landrat kritisch über das „arrogante“ Verhalten der Autobahn GmbH. Möglichkeiten, die Rodung aufzuhalten, sahen sie aber zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr.

Also haben wir entschieden, für eine autonome Kleingruppenaktion zu mobilisieren. Unser Glück war, dass keine Instanz mit einer Aktion rechnete, was auch dadurch deutlich wurde, dass der entsprechende Harvester bereits vor dem Wochenende in dem Waldstück geparkt wurde. Nach Rücksprache mit der Besetzung im Steini war der PR-Film schnell gestrickt: Wir wollten für eine FLINTA*-Aktion (Frauen*, Lesben, Inter*, Nichtbinär, Trans*, Agender, *) werben, um dann die Steini-Kanäle in den sozialen Medien für die Berichterstattung zu „kapern“. Leider sind nur die Cops unserem Aufruf gefolgt. Weil es für uns aber keine Option war, das Waldstück kampflos fallen zu lassen, haben wir die Aktion wieder geöffnet für alle Geschlechtlichkeiten, haben aber an dem queerfeministischen Framing festgehalten. So konnten wir eine Kleingruppe aus 6 Menschen im Steini aktivieren, welche zumindest zur Hälfte aus FLINTA*-Personen bestand. Die gemeinsame Forderung mit der lokalen Zivilbevölkerung war ein Diskurs über das Waldstück unter Einbezug der Öffentlichkeit.

So wurde ab ca. 6 Uhr die Baumaschine besetzt und zeitgleich die Presse über die Mahnwache und die „solidarische queerfeministische autonome Kleingruppenaktion“ informiert. Der Ortsvorsteher war der erste lokale Support um kurz nach 7. Die Arbeitskräfte kamen ca. 8:15 dazu und die Polizei erst um 9. Bis dahin war auch der Bürgermeister da und wieder weg mit der Ansage, nun am Schreibtisch dafür zu sorgen, dass die Rodung ausgesetzt wird. Ab ca. 10 Uhr stand im Raum, dass die Baumaschine abgeholt wird und die Rodung „vorläufig ausgesetzt“ würde, ob uns das genüge, fragte der Kommunikations-Cop.

Wir blieben standhaft mit unserer Forderung nach einem Diskurs unter Einbezug der Öffentlichkeit und gegen 11 hatten wir die Bestätigung der Autobahn GmbH, dass die aktuellen Pläne fallen gelassen werden. Daraufhin hat sich die Spontanversammlung aufgelöst. Vier der Aktivisti haben sich zu dem Zeitpunkt schon entschlossen, Personalien anzugeben. Eine weitere Person konnte erfolgreich türmen und eine Person wurde von der Baumaschine in Gewahrsam genommen. Gegen Mittag kam dann der Tieflader, um den Harvester abzuholen. Gegen Abend hat die Person in Gewahrsam sich entschieden, ebenfalls Personalien anzugeben und wurde daraufhin entlassen.

Aufgrund der Kurzfristigkeit und der hohen Chance auf schnellen Erfolg, bedingt durch die Ausgangsbedingungen, folgt nun eine Beschreibung der Strukturen, die aus dem Boden gestampft wurden und aus unserer Sicht eine Minimalanforderung an eine solche Aktion darstellen:

1. Der „PR-Coup“

Die Bewegung in den sozialen Medien mit der Idee einer Aktion (sogar einer neuartigen Aktionsform) zu imprägnieren, die Aufmerksamkeit zu erregen und bereits Spannung im Vorfeld zu erzeugen, war der erste Schritt. Öffentlich zu einem Ort zu mobilisieren, der nichts mit der Aktion zu tun hat, war eine pragmatische Lösung, sie hat aber vielleicht auch dafür gesorgt, dass keine Person mobilisiert werden konnte, weil klar war, dass die Behörden auch Bescheid wissen – was sie ja auch wunderbar unter Beweis gestellt haben. Auf Kanäle mit 500 – 1.000 Follower:innen zurückgreifen zu können, um von der Aktion zu berichten, war aber für die Aktion selbst eine große Hilfe.

2. Die Blockade

Ohne direkte Aktion passiert nichts. Es braucht mutige Menschen, die bereit sind, sich aktiv in den Weg zu stellen und mögliche Repressionen auf sich zu nehmen. Das war der Punkt, an dem die Aktion fast gescheitert wäre. Zum Glück brauchte es keine große kritische Menge, die wir dann doch noch aktivieren konnten.

3. Die Mahnwache

Neben der autonomen Kleingruppenaktion wurde eine Mahnwache eingerichtet. Ein paar Banner und zwei Gartenstühle waren genug an Infrastruktur, eine Presse-Mitteilung und eine Verantwortlichkeit genug personelle Kapazität. Als Anlaufstelle für den lokalen Protest in Solidarität zu der Besetzungsaktion ist die Mahnwache aber unabdingbar gewesen. Hier wurde auch das Mobiltelefon mit der Nummer, die der Presse kommuniziert wurde, platziert.

4. Das Camp

Natürlich mussten die Menschen irgendwo schlafen. Da wir prinzipiell auch darauf vorbereitet waren, die Aktion bis zu 5 Tage durchzuziehen, wurde eine private Gartenwiese einer solidarischen Anwohnerin in Laufnähe zum Aktionsort mit Zelten bezogen.

5. Das Materiallager

Noch näher am Aktionsort als das Camp, neben dem Carport einer anderen solidarischen Anwohnerin, konnten wir Schaukeln, Poly und eine Instant-Plattform lagern.

6. EA und Gesa-Support

Da davon auszugehen war, dass einzelne Personen einen Gesa-Aufenthalt in Kauf nehmen, war auch die Einrichtung einer funktionalen EA- und Gesa-Support-Struktur notwendig. Die Einrichtung einer Telefonnummer mit einem einfachen Schichtensystem und einem flexiblen Shuttle-Dienst haben dafür ausgereicht.

Zuletzt erachten wir als erwähnenswert, dass die solidarischen Anwohner:innen über das Repressionslevel überrascht waren, weil „doch alles friedlich war“. Das, was für uns mittlerweile trauriger Alltag ist, dass die Cops erstmal komplett ausrasten, ist noch immer nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wir interpretieren das als klaren Aufklärungsauftrag. Die Aktion wird nun ein juristisches Nachspiel haben: Die Person, die sich vom Harvester hat räumen lassen, wird wohl eine Anzeige wegen Nötigung erhalten. Gegen die Versammlungsleitung sowie gegen die namentlich bekannten Teilnehmenden der Versammlung, also gegen den Bürgermeister und den Ortsvorsteher, laufen nun Verfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht. Natürlich werden diese Vorwürfe fallen gelassen werden, die Notwendigkeit der anwaltlichen Beteiligung dafür gibt dem Aktionslevel „Versammlungsleitung der Mahnwache“ aber einen klassistischen Anstrich, der definitiv als Teil der Repressionsstrategie bewertet werden kann.

Nun bleibt uns zu hoffen, dass dieser Bericht andere Menschen zu ähnlichen Aktionen inspiriert. Damit sie lernen, dass wir überall sind, wo „ein paar Bäume“ bedroht werden.

Geschrieben von einer weißen, neurodiversen FLINTA*-Person aus dem Steini

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