Wald statt Asphalt-Bündnis Stellungnahme zur Pressemitteilung des hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen vom 25.11.2020: „Ministerium weist Kritik an Planungsrecht zur A 49 zurück“
Wald-Statt-Asphalt-Bündnis
Dannenrod
01.12.2020
An
das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie den Bundesminister Andreas Scheuer,
an
das hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen sowie den Landesminister Tarek Al-Wazir,
an
alle Journalist*innen, und Pressevertreter*innen.
Stellungnahme zur Pressemitteilung des hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen vom 25.11.2020: „Ministerium weist Kritik an Planungsrecht zur A 49 zurück“.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Lieber Herr Scheuer,
Lieber Herr Al-Wazir
Mit diesem Brief möchten wir der „Presseerklärung zur Pressemitteilung des HMWEVL vom 25.11.2020 zur gutachterlichen Stellungnahme von RegioConsult zum „A49-Gutachten zur WRRL“ der ahu GmbH“ der RegioConsult vom 27.11.2020 inhaltlichen Nachdruck verleihen,
besonders, dass „[das] „Fachgutachten“ der ahu GmbH […] mangels Datengrundlagen und ausgebliebener Untersuchungen nicht beurteilen [kann], ob die hohen Anforderungen der WRRL erfüllt werden.“
Dies begründen wir mit dem angehängten „Kritische[n] Kommentar zum vorliegenden Fachbeitrag „Fachbeitrag Wasserrahmenrichtlinie für den Neubau der A 49 im Abschnitt Stadtallendorf – Gemünden (VKE 40)“ von der ahu GmbH vom 28.09.2020“, der im Auftrag des Wald-Statt-Asphalt-Bündnisses von einem Konsortium unabhängiger Wissenschaftler*innen sowie Expert*innen der Sachlage vor Ort erstellt wurde. Dieser kommt zu dem eindeutigen Schluss, dass das vorliegende Gutachten gravierende inhaltliche Lücken aufweist. Damit müssen wir Ihrer Aussage, dass das Fachgutachten der ahu GmbH „die sehr hohen fachlichen Anforderungen, die zur Prüfung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie an einen solchen Fachbeitrag gestellt werden[, erfüllt]“, mit aller Vehemenz widersprechen.
Herr Scheuer, Herr Al-Wazir, wir fordern Sie auf, alle Bemühungen zur Realisierung des Autobahnbaus unverzüglich zu stoppen, bis die entsprechende inhaltliche Fehlstelle beseitigt ist. Wir betonen noch einmal, dass der Bau der BAB 49 die Trinkwasserversorgung von 500 000 Bürger*innen gefährdet.
Kritischer Kommentar zum vorliegenden Fachbeitrag „Fachbeitrag Wasserrahmenrichtlinie für den Neubau der A 49 im Abschnitt Stadtallendorf – Gemünden (VKE 40)“ von der ahu GmbH vom 28.09.2020.
Am 28.9.2020 wurde ein Fachbeitrag der ahu GmbH mit dem Namen „Fachbeitrag Wasserrahmenrichtlinie für den Neubau der A 49 im Abschnitt Stadtallendorf – Gemünden
(VKE 40)“ veröffentlicht. Der Fachbeitrag wurde am 9.7.2020 von der DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (im Folgenden: DEGES) in Auftrag gegeben. Der Fachbeitrag behandelt maßgeblich die Stellung des Bauvorhabens der A49 durch ein Trinkwasserschutzgebiet in Bezug auf die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), welches durch die DEGES umgesetzt werden soll. Die gesammelten Kritikpunkte sind im Folgenden zusammengefasst.
In Position 4.1.2 (S. 24-25) diskutieren die Autor*innen die Datenlücken des Fachbeitrages. Sie kommen zu dem Schluss: „Datenlücken im Hinblick auf die WRRL-relevanten Daten und Planunterlagen für das zu bewertende Vorhaben existieren nicht.“ Dieser Aussage wird widersprochen:
In Position 2.2, Unterpunkt „Bauphase“ (S. 14) werden Kontaminationen des Bodens mit Schwermetallen und Sprengstoff diskutiert, für welche die Etablierung eines Bodenmanagements als Maßnahme in der Planfeststellung enthalten bzw. festgeschrieben sei. Für die Einschätzung des Einflusses der Baumaßnahmen auf den chemischen Zustand der betroffenen Wasserkörper ist eine detaillierte Auseinandersetzung mit den dort angesprochenen bestehenden, als heterogen einzuschätzenden Bodenkontaminationen unerlässlich. Speziell durch die besondere Art des jüngst erfolgten und – nach Aussage der Betreibenden – äußerst sensiblen Altlasten-Managements direkt am Grundwasserkörper (GWK) durch Schluck- und Einspeisebrunnen bedarf es für eine abschließende
fachliche Bewertung einer konsequenten Offenlegung der aktuellen Datenlage sowie einer detaillierten und kritischen Auseinandersetzung hiermit. Im vorliegenden Fachbeitrag fehlt sie gänzlich.
Angesichts der gegenwärtigen Verschiebung der Niederschlagsintensitäten vom Sommer in den Winter [1], erhöhter Frequenz und Intensität von Überflutungen und Trockenperioden [2] und die damit verbundene natürliche Minderung der Aufnahmekapazität von Wasser in Böden [3,4], ist die Berücksichtigung von aktuellen klimarelevanten Daten grundlegend für die vorgenommene Bewertung sowie die Anpassungen der Bewirtschaftungsziele GWK für den Bewirtschaftungsplan 2022-2027.
Die Situation um die Einleitestelle der Fernableitung in die Klein ist klarzustellen. So ist explizit darzulegen, auf welcher sachlichen Grundlage der Forderung des Zweckverbands Mittelhessischer Wasserversorger (ZMW), die Einleitestelle der Fernableitung gemäß Wasserschutzgebietsverordnung außerhalb der Wasserschutzzonen II und III A zu verlegen [5], auch in der aktualisierten Planung (vgl. Pos. 1.3, S. 10) nicht nachgekommen wurde. Ebenso ist der endgültige Schluss in Position 5.5, Unterpunkt „Bewertung ökologischer Zustand“, die ökologischen und chemischen Zustände würden durch den Ablauf der Fernableitung nicht beeinflusst, anhand der vorliegenden Daten nicht nachzuvollziehen.
Der in Position 4.1.2 (S. 25) erwähnten Mitteilung der Wasserbehörde (RP Gießen) am 08.09.2020 an DEGES, mit der Aussage, die Verwendung der einzig verfügbaren Messstelle 223 für die Bewertung des chemischen Zustandes der Klein sei fachlich vertretbar (im vorliegenden Fachbeitrag ebenfalls zwingend im Konjunktiv zu formulieren), kann aus wissenschaftlicher Perspektive nicht zugestimmt werden. Die Bewertung des chemischen Zustands eines Gewässers anhand begrenzter Datensätze, erhoben an einem einzelnen Messpunkt außerhalb des zu untersuchenden Gewässers, ist wissenschaftlich nicht tragbar. Das Fehlen von Referenzwerten mindert die Aussagekraft hinsichtlich einer im WRRL Fachbeitrag genannten umfangreichen Datengrundlage massiv; für eine
belastbare Interpretation der Daten sind Messungen im diskutierten Gewässer unabdingbar.
Die Diskussion über die Kompensation der wegfallenden Wasserförderung aus den Brunnen des ZMW, die im Rahmen der Bauarbeiten zeitweise außer Betrieb genommen werden müssen (In Pos. 2.2, Unterpunkt „Bauphase“, S. 15 wird der FB28 explizit genannt), fehlt ebenso vollständig. Dies wird als besonders kritisch angesehen, da die Förderkapazitäten des ZMW am GWK nach eigenen Angaben nahezu ausgelastet sind. Eine
vollständige Diskussion sollte die durch die für den Bau notwendige geografische Verlagerung der Förderung entstehenden Einflüsse auf den GWK (mit besonderer Berücksichtigung der Altlasten) sowie auf das pflanzenverfügbare Grundwasser ebenso einbeziehen wie die geplante Fördermengensteigerung und den Einfluss der oben diskutierten klimatischen Veränderungen speziell auf die Verlagerung.
Weitere Informationen werden an den folgenden Punkten benötigt:
- In Pos. 5.6.1 (S. 75) wird die Potentialumkehr zwischen Oberflächengewässer und
Auengrundwasserleiter kurz angesprochen. Wie zu dem Schluss gekommen wird, dass der chemische Zustand hiervon nicht beeinflusst wird, ist anhand der vorliegenden Information nicht nachzuvollziehen. - Die kritische Auseinandersetzung mit dem Einbringen von Brückenpfeilern in tiefere Bodenschichten und dem daraus resultierenden Eingriff in die Wasserschutzzone ist im vorliegenden Fachbeitrag ebenfalls nicht aufzufinden.
- Im Allgemeinen und besonders in Pos. 5.5 (S. 71) werden zur Abschätzung der Auswirkungen auf die Qualitätskomponenten der Oberflächenwasserkörper ausschließlich die Oberflächengewässer berücksichtigt. Die Vernachlässigung des oberflächennahen pflanzenverfügbaren Bodenwassers ist nicht begründet.
- Ebenfalls fehlt die Auseinandersetzung mit den anlagebedingten Auswirkungen auf den mengenmäßigen Zustand (Pos. 5.6.2, S. 75-76) im Bereich direkt um die Anlage. Besonders für eine Abschätzung der ökologischen Risiken (durch Verlust an pflanzenverfügbarem Grundwasser) wird diese als notwendig erachtet.
- Eine Auseinandersetzung mit dem Einfluss des Bauvorhabens auf den Wasserhaushalt der Wälder, die durch den Autobahnbau beeinträchtigt werden, fehlt ebenfalls vollständig. Da Wälder im Allgemeinen als wichtige Wasserspeicher und -verdunster fungieren und damit einen direkten Einfluss auf die klimatische Entwicklung der Region haben, würde von einem umfassenden Fachbeitrag eine Berücksichtigung einer entsprechenden Analyse erwartet.
Die folgenden Punkte sind weiterhin zu bemängeln:
- Die Relevanzeinschätzungen „keine Relevanz“ in Tab. 19 sind vielfach nur unter der Annahme gültig, dass alle Auflagen jederzeit vollständig erfüllt werden. Entsprechend ist den Einschätzungen „bei Einhalten und nachweislicher Kontrolle aller Auflagen“ hinzuzufügen und entsprechende Kontroll-, Vorsichts- und Präventivmaßnahmen explizit zu diskutieren und zu realisieren.
- Der Relevanzeinschätzung in der Spalte „Erschütterungen“ in Tab. 19 (S. 50 – „keine Relevanz“) wird gänzlich widersprochen. Die Annahme, dass die Einhaltung aller vorhandener Auflagen – die einer eigenen Risikostudie der ahu GmbH zugrunde liegen – jegliche – besonders für den Zustand des Wassers – problematische Erschütterungen vermeide, ist grob vereinfacht und besonders mit Blick auf die geplanten Tunnelbohrungen schwierig zu rechtfertigen.
Entsprechend muss der Fachbeitrag aus wissenschaftlicher Sicht in seiner jetzigen Form als unvollständig zurückgewiesen werden.
Referenzen:
[1] Schönwiese C.-D. „Analyse der Klimaänderungen in Hessen für den Zeit- raum 1901–2003.“ 2012, in: INKLIM 2012 Baustein II – Klimawandel und Klimafolgen in Hessen, Abschlussbericht, Frankfurt/Main, 3–11.
[2] Stocker, T.F.; et al. (eds.) „Climate Change 2013: The Physical Science Basis.“ Working Group 1 (WG1) Contribution to the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) 5th Assessment Report (AR5), 2014, Cambridge University Press.
[3] Brasseur, G.P.; Jacob, D.; Schuck-Zöller, S. „Klimawandel in Deutschland: Entwicklung, Folgen, Risiken und Perspektiven“ 2017, Springer Spektrum.
[4] Helmholtz Zentrum für Umweltforschung UFZ, Dürremonitor Deutschland, https://www.ufz.de/
[5] Niederschrift über die 71. Verbandsversammlung, ZMW, 18.9.2012
Autor*innen (alphabetisch sortiert):
Dr. Anne Archinal (Aktionsgemeinschaft „Rettet den Burgwald“, Schutzgemeinschaft Vogelsberg)
Dr. Wolfgang Dennhöfer (BUND Vogelsberg)
Karl Hofmann, M.Sc. (Max-Planck-Nachhaltigkeitsnetzwerk)
Mirjam Krieger, B.A. (Max-Planck-Nachhaltigkeitsnetzwerk)
Reiner Nau, Dipl.-Psych. (Bündnis 90/Die Grünen Kirchhain)
Julian D. Rolfes, M.Sc. (Max-Planck-Nachhaltigkeitsnetzwerk; Albert-Hofmann-Institut für physiochemische Nachhaltigkeit)
Felix Temmesfeld, M.Sc. (Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg)
Dr. Natalie Uomini (Max-Planck-Nachhaltigkeitsnetzwerk)
Dr. Hans Otto Wack (Schutzgemeinschaft Vogelsberg, Umweltbüro Schotten)
Kontakt:
Albert-Hofmann-Institut für physiochemische Nachhaltigkeit
jdr@a-h.institute
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