Bedrohte Platanen in Karlsruher Kaiserstraße besetzt

Augsburg, Duisburg, Flensburg, Göttingen, Passau, Potsdam, Ravensburg [0]: In immer mehr Städten protestieren Anwohner*innen für den Erhalt von wertvollen Innenstadtbäumen mit einem ungewöhnlichen Mittel – sie besetzen sie und errichten provisorische Dauerbaumhäuser. In der Nacht vom gestrigen Mittwoch (16.8.2023) auf den heutigen Donnerstag (17.8.2023) gelang das auch engagierten Anwohner*innen aus Karlsruhe. Vier Platanen in der Kaiserstraße halten sie nun ohne Absprache oder Genehmigung mit der Stadt besetzt. Dort sollen für ein einheitlicheres Stadtbild gleich 48 gesunde Bäume gefällt und neuen sogenannten Zürgelbäumen Platz machen. Die ersten der bis zu 20 Meter hohen Schattenspender waren zuvor bereits gefällt worden. Um eine Aktion der Letzten Generation handelt es sich nicht.

Die besorgten Anwohner*innen haben dabei nicht nur die Platanen in der Kaiserstraße im Blick: Sie kritisieren zudem, dass das neue Stadtbild insgesamt zu wenig Grün in der Innenstadt vorsieht. Auch die Biodiversität als natürliche Heimat für zahlreiche Tierarten, den die Bäume bieten, werde von der Stadt erheblich unterschätzt. Die staatliche Naturschutzverwaltung des Landes kommt zu dem Schluss, der ökologische Wert einer Platane sei über kurz- oder mittelfristige Maßnahmen nicht zu ersetzen [1].

Diese Bäume im Jahr 2023 zu fällen, ist unverantwortlich.

Die Behauptung der Stadt, die Rodung sei alternativlos, da sich einige alte Leitungen im Untergrund nicht anders erneuern ließen, wurde bereits widerlegt [2] – wie der ehemalige Leiter des Gartenbauamts bestätigt, griff die Stadt auf ein veraltetes Regelwerk des zuständigen Fachverbands DVGW zurück.

“Wir wissen, dass die Sommer heißer und die Hitzewellen häufiger werden. Jeder große Baum verdunstet mehrere Kubikmeter Wasser am Tag und ist eine natürliche Klimaanlage. Diese Bäume im Jahr 2023 zu fällen, ist unverantwortlich. Es ist bekannt, dass es falsch ist, große gesunde Bäume zu fällen. Wir haben hier kein Wissens- sondern ein Umsetzungsproblem”, so Julius Hamisch (20).

Konstruktiver Dialog über Erhalt der Platanen

Besonders wichtig ist den Baumkletternden daher, konstruktiv den Diskurs mit der Stadt zu suchen. Sabotage schließen sie aus: “Die Idee, neue hitzeresistente Bäume in der Kaiserstraße zu pflanzen, finden wir sehr gut. Wir fordern aber die Mischung verschiedener Baumarten, damit die Bäume insgesamt weniger anfällig für Krankheiten oder Parasiten sind. Zwischen den Platanengruppen sind große Abstände, in die auch diese neue Bäume gepflanzt werden können”, fordert Hamischs Vater Sven.

In der Argumentation der Stadt werden auffällig oft die neuen Zürgelbäume, die in der Kaiserstraße die Platanen ersetzen sollen, als hitzeresistent beworben werden [3]. Selbiges gilt aber auch für die Platanen, die aktuell noch stehen [4].

OB räumt ein: Jungbäume kein Ersatz

Ende letzten Jahres hatte Oberbürgermeister Mentrup bereits zugegeben, dass die neuen Jungbäume in den ersten 20 bis 30 Jahren “sicher nicht die Ökosystemleistungen […] der Platanen kompensieren.” [5] Gerade in diesem Zeitraum könnten die Platanen genau diesen wichtigen Beitrag leisten, während gleichzeitig schon neu gepflanzte Zürgelbäume wie von der Stadt vorgesehen wachsen könnten.

Großer Rückhalt in der Bevölkerung

Wie lange die Platanen besetzt bleiben, wissen die Protestierenden nach eigener Aussage noch nicht. “Wir wollen in erster Linie die Debatte über die Neugestaltung der Innenstadt nochmal anstoßen. Kein Baum ist egal. Erst recht nicht in der sowieso schon recht grauen Innenstadt. Wenn die Stadt weiterhin auf die Rodung besteht, sehen wir uns gegebenenfalls gezwungen länger zu bleiben oder immer wieder zu kommen. Wir werden die Bäume nicht ohne Widerstand fällen lassen”, erklärt Lisa E. (23). E. studiert auf Lehramt und möchte aus diesem Grund ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen.

Der Rückhalt durch die Bevölkerung ist dabei groß: Viele Bürger*innen und auch einige Gemeinderät*innen haben ihr Unverständnis über die Rodung bekundet. Bei einer Petition vergangenes Jahr kamen mehrere tausend Unterschriften aus Karlsruhe und der Region zusammen [6].

Wir wollen nicht nur in der Mitte der Innenstadt sondern auch in der Mitte der Stadtbevölkerung ankommen.

Bürger*innen sind herzlich eingeladen, vorbeizukommen und ihre Unterstützung kundzutun. “Wir freuen uns über jede Unterstützung, über jede Begegnung und über kritische, hoffentlich überwiegend konstruktive Diskussionen über das Thema. Hier kann jede*r einfach vorbeikommen, wir wollen nicht nur in der Mitte der Innenstadt sondern auch in der Mitte der Stadtbevölkerung ankommen”, so E., der*die ebenfalls schon in den frühen Morgenstunden auf die Platanen geklettert ist. Die ehrenamtlich Engagierten richteten eigenes eine Webseite zur weiteren Information ein: karlsruher-platanen-bleiben.de. Jeden Tag finden Kletterworkshops für Anfänger*innen statt. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Hinweis

Die besetzten Bäume befinden sich bei der Kaiserstraße 92–98, 76133 Karlsruhe. Koordinaten: 49.0097724, 8.4008443.

Fotos zur freien Verwendung werden im Laufe des Vormittags auf www.karlsruher-platanen-bleiben.de hochgeladen.

Bei früheren Baumbesetzungen kam es oft zur polizeilichen Räumung durch das Spezialeinsatzkommando. Das ist auch in Karlsruhe vorstellbar. In diesem Fall müssen die Anwohner*innen mit strafrechtlichen Konsequenzen (Nötigung, Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz) rechnen. Diese Konsequenzen nehmen sie in Kauf.

Weitere Infors zur Aktion unter https://www.karlsruher-platanen-bleiben.de

Referenzen

[0] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/friedrichshafen/professor-wegen-baumbesetzung-in-ravensburg-vor-amtsgericht-100.html https://www.br.de/nachrichten/bayern/klimacamp-aktivisten-besetzen-baeume-in-augsburg,TJprUnj https://www.goettinger-tageblatt.de/lokales/goettingen-lk/goettingen/baumbesetzung-am-wilhelmsplatz-in-goettingen-solidaritaet-mit-luetzerath-5WF7WPW5AYRYUNNP7WRTE4TUO4.html https://www.maz-online.de/lokales/potsdam/potsdam-protest-gegen-baumfaellungen-auf-uni-gelaende-oder-umweltschutz-ZCLXRENHKFFKFOHQYNU5HCN7R4.html https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Freispruch-fuer-Baumbesetzer-vom-Flensburger-Bahnhofswald,bahnhofswald174.html https://www.pnp.de/archiv/1/nach-baumbesetzung-aktivisten-laden-stadt-zum-dialog-ein-7091747 https://www.schwaebische.de/landkreis/landkreis-ravensburg/ravensburg_artikel,-klima-aktivisten-besetzen-erneut-einen-baum-in-ravensburg-_arid,11311887.html https://www.waz.de/staedte/duisburg/sued/duisburg-aktivisten-stoeren-baumfaellung-mit-kletteraktion-id237680637.html

[1] https://rp.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/RP-Internet/Freiburg/Service/Publikationen/Platane_Verkerssicherung_Artenschutz_barrierefrei.pdf

[2] https://www.klimabuendnis-karlsruhe.de/2022/12/12/platanen-stoeren-neue-leitungen-nein/?doing_wp_cron=1691795820.3789479732513427734375

[3] https://www.karlsruhe.de/themen/kaiserstrasse

[4] https://www.gartenjournal.net/platane-trockenheit

[5] https://www.klimabuendnis-karlsruhe.de/wp-content/uploads/2022/12/PM-Klimabuendnis-Platanen_2022.12.07-1.pdf

[6] https://www.openpetition.de/petition/online/fuer-den-erhalt-der-vitalen-platanen-in-der-kaiserstrasse-karlsruhe

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