SPD und Autobahnausbau: Der Zug ist noch nicht abgefahren

Die FDP will den Autobahnausbau beschleunigen, klimabewusste Menschen sind empört. Doch wo bleibt der Aufschrei, wenn sich SPD-Politiker gerade Ă€hnlich Ă€ußern? Die frĂŒhere Autobahn-Partei konnte sich in dem Streit bisher aus der AffĂ€re ziehen – höchste Zeit, die SPD an ihre Klimaversprechen zu erinnern.

Boys will be boys and the FDP will be the FDP … So in etwa fĂŒhlt sich gerade die Debatte ĂŒber das geplante Beschleunigungsgesetz an, bei der vor allem der mehrspurige Ausbau von Autobahnen ein fĂŒr GrĂŒne und FDP Ă€hnlich emotionales Thema ist – wenn auch aus unterschiedlichen GrĂŒnden.

Die GrĂŒnen lehnen die Autobahn-Beschleunigung vehement ab, die FDP will sie unbedingt. Ob Tempolimit, Neun-Euro-Ticket oder nun Autobahnen: Die autofreundliche IdentitĂ€tspolitik der FDP scheint sich durch die verschiedenen Politikthemen zu ziehen und sorgt bei so mancher GrĂŒnen-WĂ€hler:in fĂŒr graue Haare.

NatĂŒrlich könnten klimabewusste Politiker:innen, Kommentator:innen und Aktivist:innen jetzt mit ihrem verzweifelten Versuch fortfahren, Druck auf die FDP aufzubauen. Es ist auch sicher nicht verkehrt, der FDP stĂ€ndig einen Spiegel vorzuhalten und sie mit den RealitĂ€ten ihrer an den Klimazielen vorbeirasselnden Verkehrspolitik zu konfrontieren.

Andererseits spricht vieles dafĂŒr, dass die FDP ein lost cause ist, ein hoffnungsloser Fall. Von einer Partei, die in aktuellen Umfragen bundesweit zwischen fĂŒnf und acht Prozent liegt und bei Landtagswahlen wie zuletzt in Berlin immer mal wieder scheitert, aber scheinbar herausgefunden hat, dass diesen fĂŒnf Prozent das Thema Autos und Freiheit sehr wichtig ist, ist wohl nicht viel zu erwarten.

Schon in der Debatte um das Tempolimit, das ja 57 Prozent der Deutschen befĂŒrworten, wurde klar, dass es der FDP nicht um Mehrheiten, sondern um IdentitĂ€tspolitik geht.

Im SPD-Wahlprogramm steht nichts von Autobahnausbau

Anders sieht das allerdings bei der SPD aus. Obwohl auch die Sozialdemokraten ĂŒber Jahre hinweg eine auto- und autobahnfreundliche Linie gefahren haben – nach dem Motto: Infrastruktur bringt Wohlstand – hĂ€lt sie sich gerade auffallend aus der Debatte heraus. Bundeskanzler Olaf Scholz beispielsweise bekannte sich im Streit zwischen FDP und GrĂŒnen bisher öffentlich zu keiner Seite.

Nun aber Ă€ußerte sich die SPD erstmals klarer zum Thema. „Auch in den kommenden Jahren werden Autobahnprojekte geplant und gebaut werden“, sagte der SPD-Vize im Bundestag, Detlef MĂŒller. Um im gleichen Atemzug klarzustellen, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren von Bahnprojekten Vorrang haben mĂŒssten.

Vieles spricht dafĂŒr, dass sich auch in der SPD immer mehr klimafreundliche Stimmen melden und die eingefahrene Vorstellung, dass Straßenbau Staus verhindert, Kommunen entlastet und wirtschaftliche ProsperitĂ€t bringt, infrage stellen.

Immerhin stehen im Wahlprogramm der Klimakanzler-Partei SĂ€tze wie: „Der Schienenverkehr ist ein Schwerpunkt unserer verkehrspolitischen Agenda.“ Oder auch die Forderung, dass an Knotenpunkten möglichst viele vom Auto auf umweltfreundliche Verkehrsmittel umsteigen können. Vom Ausbau der Bundesautobahnen ist im Wahlprogramm kein Satz zu finden.

WĂ€re es nicht allerhöchste Eisenbahn fĂŒr Olaf Scholz, zu beweisen, dass die SPD Klimaschutz und Klimagerechtigkeit nicht den GrĂŒnen ĂŒberlĂ€sst (und im Streit zwischen Klima und Auto nur moderiert), sondern das Versprechen eines „Klimakanzlers“ auch einlöst?

Gerade von der Partei, bei der man in acht Jahren großer Koalition vor allem Profillosigkeit zu sehen bekam, worunter sie sicher selbst am meisten gelitten hat, kann man jetzt erwarten, dass sie Stellung bezieht – und zwar zugunsten der Klimagerechtigkeit.

FDP will Verkehrs-Klimathemen Anfang MĂ€rz abrĂ€umen

Ähnlich formulieren es inzwischen die GrĂŒnen. Die parlamentarische GeschĂ€ftsfĂŒhrerin Irene Mihalic sagte kĂŒrzlich zum Autobahn-Streit, die SPD sei gefordert, „auch noch einmal die eigene Position in der Frage an der Stelle zu verdeutlichen“. TatsĂ€chlich ist es jetzt wichtiger denn je, den Druck aufrechtzuerhalten, damit die Stimmen in der SPD, die die FDP hier unterstĂŒtzen wollen, sich nicht durchsetzen.

Noch ist der Zug nicht abgefahren, den Fokus zunehmend auf die SPD zu richten, deren Profil in der Autobahn-Frage viel unklarer ist als das der FDP, und die klimafreundlichen Stimmen in der SPD durch Nichtregierungsorganisationen und Umweltgruppen zu bestÀrken.

Die FDP bleibt natĂŒrlich ein guter Kontrahent – sie widerspricht in puncto Autobahnausbau dem Konsens der Verkehrswissenschaft, die schon lange darlegt, dass mehr Straßen zu mehr Autoverkehr fĂŒhren. Aber wenn GrĂŒne und Sozialdemokraten hier nicht zusammenhalten, droht die SPD mit ihrem Technologiefokus – von E-Autos bis Wasserstofftrucks – die Lösung der Klimakrise auf höchst riskante Art und Weise in die Zukunft zu verschieben.

Anfang MĂ€rz soll der Autobahnausbau auf der Tagesordnung des Koalitionsausschusses stehen. FDP-Verkehrsminister Wissing will das Thema Beschleunigung zusammen mit zwei anderen, nicht minder umstrittenen Fragen abrĂ€umen: dem Klima-Sofortprogramm fĂŒr den Verkehr und der Novelle des Klimaschutzgesetzes.

Auch hier wird die Faustformel gelten: Zwei zusammen haben mehr Aussicht auf Erfolg als einer allein.

Von Clara Thompson


Der Artikel wurde am 21. Februar 2023 auch unter klimareporter.de veröffentlicht.

Das Foto zeigt die ausbaubedrohte A643 durch das Naturschutzgebiet Mainzer Sand.

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